Das Wiener Volksliedwerk

Das Wiener Volksliedwerk beherbergt in seinem Archiv an die 20.000 Flugblätter mit Wienerliedern, 45.000 gedruckte Noten in Liederbüchern, ca. 40.000 Instrumentalstücke (hauptsächlich Arrangements für Schrammelensemble) und einige tausend Ton- und Videodokumente.

Das Institut (wvlw) wurde von 1974 bis 2016 von der Wiener Magistratsabteilung Bildung und außerschulische Jugendbetreuung (MA13) finanziert. Ab 2017 erhält das wvlw seine Basissubvention von der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7, Referat Musik), die seit dem Jahr 2000 auch das wean hean Festival fördert. Ebenfalls fördert das Referat Wissenschafts- und Forschungsförderung der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA7) diverse Tätigkeiten des wvlw.


Wissenschaftliche Arbeit

Das wissenschaftliche Team des wvlw forscht über Wiener Volksmusik im weitesten Sinn und publiziert regelmäßig in der Zeitschrift bockkeller (1995 ff.). 2004 wurde eine eigene Buchreihe begonnen, vgl. Beiträge zur Wiener Musik. Der erste Band „Wienerlied und Weana Tanz“ (Löcker Verlag, 2004) erschien anlässlich einer großen Ausstellung über das Wienerlied im Rahmen des Wienerlied-Festivals wean hean 2004. Die gesamte Ausstellung mit über 800 Objekten ist dokumentiert auf einer CD-Rom. Der zweite Band „Gesammelte Werke von Hermann Leopoldi und 11 Lieder von Ferdinand Leopoldi" [Leopoldiana] erschien 2011. Jedes Jahr bringt das wvlw eine CD mit einem Querschnitt der im vorjährigen wean hean Festival aufgenommenen Konzerte heraus (wean hean Vol. 1 – 19).


Projekte

Eine weitere Aufgabe des wvlw liegt in der Betreuung wissenschaftlicher Arbeiten von Studierenden und Schüler:innen sowie der Unterstützung von Wissenschaftler:innen, die sich mit Wiener Volksmusik beschäftigen. Das wvlw unterstützt Ausstellungen der Wiener Museen, stellt Liedrepertoires für Schauspieler, Ensembles und Theater zusammen und initiiert Projekte, darunter auch langlebige, wie das Harmonikaprojekt oder Mit allen Sinnen (Wiener Musiker in Wiener Schulen) bzw. die Produktion einer umfassenden Lehrmaterialsammlung zur Wiener Volksmusik: DVD Wienerlied macht Schule. 2017 initiierte Roland Neuwirth zusammen mit dem wvlw ein Projekt zur Wiener Geigenstilistik: wean schbüün.


Konzerte

Das wvlw veranstaltet Konzerte mit wienerischer, österreichischer und internationaler Volksmusik, Musikantentage, Offene Singen und Wienerlied-Stammtische. Seit dem Jahr 2000 richtet das Wiener Volksliedwerk das alljährliche Festival (wean hean = Wien hören) aus, welches sich um das alte und neue Wienerlied dreht. Im Selbstverständnis des Institutes liegt der Fokus auf seiner wissenschaftlichen Arbeit und der Unterstützung von Studierenden, Musiker:innen und Laienpublikum.

In Wien sind zahlreiche Vereinigungen zur „Rettung, Förderung und Pflege“ des Wienerliedes angesiedelt, die das traditionelle Wienerlied pflegen. Von dieser Aufgabe sozusagen befreit, hat das wvlw den Freiraum, Veranstaltungen projekt- und themenbezogen zu gestalten und womöglich neue Impulse zu geben. Ein Muss, um bei jungem Publikum und auch Musikernachwuchs Interesse zu wecken. An aktivem Nachwuchs mangelt es in Wien zur Zeit glücklicherweise nicht. In den letzten Jahren haben sich viele Formationen gebildet, die einerseits sehr stark an der Tradition hängen und andererseits das Wienerlied und die Wiener Musik zum Anlass nehmen, auf deren Basis eine eigene Musiksprache zu entwickeln. Dabei nehmen jene die Empörung mancher Traditionalisten in Kauf und haben dennoch oder gerade deshalb bei einem breiten Publikum Erfolg. Die Mehrzahl dieser Musiker:innen steht in Kontakt mit dem Wiener Volksliedwerk und nutzt sowohl das Archiv und die Bibliothek des Institutes als auch die Auftrittsmöglichkeiten im Veranstaltungssaal des Bockkellers oder im Rahmen des Festivals wean hean.


Zur Geschichte des Wiener Volksliedwerkes

Die Geschichte des Wiener Volksliedwerkes beginnt 1904 mit dem vom Ministerium für Cultus und Unterricht begonnenen Projekt des Sammelns und Editierens von Volksliedern in den österreichischen Kronländern der Habsburgermonarchie. Unter Minister Wilhelm Ritter von Hartel wurde der Grundstein für das Österreichische Volksliedunternehmen (OVU) geschaffen. Zentrale Gestalten des Unternehmens waren der Gymnasialprofessor und Reichstagsabgeordnete Josef Pommer, der mährische Komponist Leos Janácek, der Prager Germanist Adolf Hauffen und der slowenische Liedforscher Karl Strekelj.

Es wurden ehrenamtlich-regionale Arbeitsausschüsse in allen ethnischen Gruppen der Donaumonarchie (außer Ungarn) aufgestellt, die Material für eine wissenschaftliche Ausgabe mit dem Titel „Das Volkslied in Österreich“ in ihren Archiven sammeln und dokumentieren sollten. Die Archive von Wien und Niederösterreich führte man dabei von Beginn an zusammen. Die geplante Edition kam infolge des Ersten Weltkrieges und des Zusammenbruchs der Habsburgermonarchie nicht mehr zustande. In der Ersten Republik blieben die Arbeitsausschüsse der Bundesländer mit der Zentrale im Unterrichtsministerium dennoch weiterhin tätig. 1938 erfolgt die Gründung des Ostmärkischen Volksliedunternehmens als Nachfolgeeinrichtung des OVU. Die Zusammenarbeit mit der Abteilung Volksmusik des Staatlichen Instituts für Deutsche Musikforschung in Berlin führte bei vielen Mitarbeitern zu einer der nationalsozialistischen Doktrin genehmen politischen und weltanschaulichen Herangehensweise an Wissenschaft und Pflege.

Nach dem Krieg erfolgte 1946 die Neugründung und Umbenennung des OVU in den Namen Österreichisches Volksliedwerk. 1974 werden die Arbeitsausschüsse aus dem Unterrichtsministerium ausgegliedert und als jeweilige Landesvolksliedwerke verselbstständigt – der Rechnungshof stellte damals fest, dass „Volksliedsammlung und Volksliedpflege“ keine Aufgaben des Staates seien. Die Trennung Niederösterreichs von Wien, die letztlich in der Übersiedlung des Archivs nach St. Pölten ihren Abschluss fand, machte es 1993 erforderlich, ein separates Archiv des Wiener Volksliedwerkes (wvlw) zu gründen. Mit der im gleichen Jahr erfolgten Übersiedlung in den Liebhartstaler Bockkeller (16. Bezirk) begann das wvlw neben seiner Forschungsarbeit eine rege Veranstaltungstätigkeit.


Schnittstelle zwischen Forschung und Praxis

Das wvlw sieht sich heute als Schnittstelle zwischen Forschung und Praxis, lebendiger Tradition und vernetzter Stadtforschung. Eine wichtige Aufgabe sieht es außerdem in der Anregung, die Geschichte der österreichischen Volksliedforschung aufzuarbeiten. An der Person Josef Pommers (1845 – 1918) etwa, der seine Forschungstätigkeit mit dem ideologischen Unterbau eines aggressiven Deutschnationalismus vermischte, scheiden sich auch heute noch die Geister.

Das Wienerlied ist auch ein wenig wie das Haus, in dem das wvlw untergebracht ist. 1907 wurde der Bockkeller gebaut, ein Vorstadtgasthaus, das in seiner retrospektiven Bauweise den zukunftsweisenden Bauten eines Otto Wagners (Steinhof Kirche) oder den Projekten der Wiener Werkstätten wie das Kabarett Fledermaus völlig entgegenstand. Im gleichen Jahr gebaut, stehen diese architektonischen Musterbeispiele symptomatisch für das Kultur- und Geistesleben Wiens zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Der ewige und verklärende Ruf nach der guten alten Zeit spiegelte sich im Bockkeller wider, Otto Wagner und Josef Hoffmann sehnten sich indes nach einer Loslösung der alten Ideale – ein fruchtbarer Kampf zwischen Tradition und Moderne. Mit der Fledermaus versuchten die Künstler und Künstlerinnen der Wiener Werkstätte hochwertige und moderne Grafik, Architektur und Kunst auf Unterhaltungsebene zu etablieren. Geboten wurden Kabarett, aktuelle Operettenparodien und moderner Tanz, aber auch Alt-Wienerisches mit den in der Wienerliedszene berühmten Schwestern Maly & Mizzi Nagl. Am 6. März 1908 berichtet Peter Altenberg, der legendäre Kaffeehausliterat und Verehrer besonders junger Mädchen, über einen Auftritt von Maly Nagl (1893-1977) im Kabarett "Fledermaus": [...] Ein Kunstwerkchen, ein allerliebstes, ist Amalia Nagel, die Fünfzehnjährige, als Dirndl in einem Alt-Linzerischen Kostüm mit Goldhaube, ein altösterreichisches Lied vortragend [...] Sie ist eigentlich das allerbeste, was es an "Wiener Sängerin" gibt. So jung sie ist, ist sie ein vornehmes Überbleibsel von vergangenen Zeiten, so 1850 ungefähr [...].
Susanne Schedtler, Wiener Volksliedwerk